Die Krankenhausreform und ihre Auswirkungen
Als Revolution Mitte 2023 angekündigt, geistert die Krankenhausreform seither durch Politik, Medien und Klinikwelt. Kaum jemand kann vorhersagen, wie die Krankenhauslandschaft nach der Umsetzung der Reform aussehen wird. In einer vierteiligen Serie fassen wir alle wichtigen Fakten zusammen und legen den Schwerpunkt auf die konkreten Auswirkungen für die Kliniken. Was ist beschlossen, was noch nicht und worauf müssen Sie sich einstellen? Hier halten wir Sie auf dem Laufenden.
Serie zur Krankenhausreform | Teil 3: Vorhaltevergütung
Rolle rückwärts für die Krankenhausfinanzierung?
Mit der Vorhaltevergütung will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nach eigener Aussage den wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern nehmen. Doch es gibt Zweifel daran, ob das gelingen kann. Unklar ist auch noch, ob die geplanten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen auf auskömmliche Finanzierung hoffen können.
„Wir haben die Balance zwischen Medizin und Ökonomie verloren“, wird Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht müde zu betonen. Mit der Vorhaltevergütung will er dieses Problem lösen. Das System der Fallpauschalen, das Lauterbach selbst vor 20 Jahren mit eingeführt hat, soll zum großen Teil wieder rückgängig gemacht werden. Künftig sollen Krankenhäuser nur noch 40 Prozent ihrer Einnahmen über Fallpauschalen erwirtschaften müssen. 60 Prozent erhalten sie unabhängig von der Leistungserbringung allein dafür, dass sie das Leistungsangebot und die dafür notwendigen Strukturen vorhalten. Kann so die von Karl Lauterbach angestrebte „Entökonomisierung“ gelingen? Daran äußern viele Experten Zweifel.
So soll die Vorhaltevergütung funktionieren
Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) soll nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers dazu beitragen, die Qualität in der Krankenhauslandschaft zu erhöhen. Ausgeschüttet wird die leistungsgruppenbezogene Vorhaltevergütung deshalb nur an die Krankenhäuser, denen aufgrund einer Zuweisungsentscheidung der Länder eine Leistungsgruppe bewilligt wurde und die die entsprechenden Qualitätskriterien grundsätzlich erfüllen.
Für die Zahlung eines nach Ländern und Leistungsgruppen differenzierten Vorhaltebudgets an die Krankenhäuser werden die Mittel aus den bestehenden Fallpauschalen ausgegliedert. Die vollständige Refinanzierung der Pflege in Krankenhäusern bleibt dabei unberührt. Auch zukünftig werden die Personalkosten für die Pflege am Bett krankenhausindividuell nach dem Selbstkostendeckungsprinzip durch das Pflegebudget bezahlt. Sie sind dann Teil der 60 Prozent Vorhaltepauschale.
Ab 2025 soll die Vorhaltevergütung erstmalig mit Vorhalte-Bewertungsrelationen im Fallpauschalenkatalog berücksichtigt werden. Das heißt: Ab dann wird die Vorhaltevergütung als weitere Rechnungsposition pro Fall neben DRG und Pflege ausgewiesen. In der Rechnungssumme ändert sich dabei nichts, aber es wird ersichtlich, wie sich die Vergütung zukünftig aufteilt. In einer Konvergenzphase 2027 und 2028 soll dann von den Fallpauschalen hin zur neuen Finanzierungssystematik umgestellt werden. Ab 2027 wird die Vorhaltevergütung aus der Einzelfallrechnung verschwinden und als Pauschale über die dann zugewiesenen Leistungsgruppen fallzahlunabhängig an die Kliniken ausgezahlt werden.
Doch: Zusätzliches Geld fließt nicht ins System – das vorhandene Geld wird nur anders aufgeteilt. Es werden auch nicht die realen Vorhaltekosten einer Klinik finanziert. Die Vorhaltevergütung erfolgt pauschal, indem die aus der bisherigen Fallpauschalenvergütung herausgerechneten Erlösanteile nach einer neuen Systematik ausgeschüttet werden.
Kritik an der Vorhaltevergütung
Verschiedene Stakeholder im Gesundheitssystem bezweifeln die Wirksamkeit der Vorhaltevergütung und fürchten die Konsequenzen. Aktuell gibt es keine bundesweite Auswirkungsanalyse und große Zweifel, ob eine Vorhaltevergütung, die doch irgendwie weiter an Fallzahlen und DRG geknüpft wird, die Kliniken überhaupt unabhängig von Leistungsfaktoren macht. So bemängelt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG):
»Die geplante Vorhaltevergütung verursacht massiven Bürokratieaufwand, erreicht aber die wesentlichen politischen Ziele (Entökonomisierung, Existenzsicherung, Entbürokratisierung, Spezialisierung) nachweislich nicht. Sie baut auf dem aktuell unzureichenden Finanzierungsvolumen auf und verteilt bestehende Mittel, die schon heute nicht die Kostenstrukturen abbilden, lediglich um.«
Der Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband) befürchtet:
»Es drohen massive Fehlanreize, wenn die Bezahlung sich nicht auf erbrachte Leistungen bezieht. Die Kliniken würden sich weniger am Bedarf der Patientinnen und Patienten ausrichten, sondern mehr an bürokratischen Verteilungskriterien. Es drohen neue Versorgungsmängel, wenn spezialisierte Kliniken künftig weniger Behandlungen durchführen, weil sie das Geld auch ohne diese Arbeit bekommen. Die Aussicht ist eine Wartelisten-Medizin.«
Und auch die Bundesländer haben Zweifel an der neuen Finanzierungssystematik. Sie sehen die Finanzierung bedarfsnotwendiger kleiner Krankenhäuser mit bevölkerungsbedingt geringer Fallzahl nur unzureichend berücksichtigt. Sie fordern daher eine Abkehr von den Vorhaltevergütungen für alle Leistungen. Stattdessen wollen sie, dass das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) einen „Sockelbetrag“ ermittelt, der der Mindestfinanzierung in den jeweiligen Leistungsgruppen der Basisversorgung dienen soll, insbesondere Allgemeine Chirurgie, Allgemeine Innere, Geriatrie, Geburtshilfe und Notfallmedizin.
Die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (dggö) kritisiert die geplante Vorhaltepauschale ebenso – auch wenn sie ein Mischvergütungssystem grundsätzlich befürwortet. Die Ökonomen können nicht nachvollziehen, warum Vorhaltevergütungen pauschal für alle Leistungsbereiche der Krankenhäuser erforderlich sein sollen.
»Insbesondere bei gut planbaren, ambulantisierbaren Leistungen könnten casemix- oder mengenorientierte Vorhaltevergütungen nicht bedarfsgerechte stationäre Strukturen zementieren und einen der Reform vorausgehenden Ambulantisierungsprozess verzögern.«
Dabei soll die Krankenhausreform gerade auch der Ambulantisierung neuen Schub verleihen und Potenziale heben. Dies ist vor allem mit den sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen geplant.
Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen: Reicht die Vergütung?
Im derzeitigen Gesetzesentwurf ist vorgesehen, dass sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen neben der stationären Behandlung auch sektorenübergreifende Leistungen erbringen können. Dazu werden etwa ambulante Operationen, belegärztliche Leistungen, sowie Tages-, Nacht-, Kurzzeit- und Übergangspflege zählen. Die genaue Definition dieser Leistungen sollen die Bundesländer gemeinsam mit den Krankenkassen übernehmen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) sollen wiederum festlegen, welche stationären Behandlungen aus der Inneren Medizin und der Geriatrie die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen verpflichtend anbieten müssen und welche weiteren stationären Leistungen sie optional zusätzlich erbringen dürfen. Auch niedergelassene Ärzte können die Leistungen erbringen. Dafür müssen sie eine Kooperationsvereinbarung mit einer Versorgungseinrichtung schließen.
Besonderheiten in der Vergütung
- Krankenhausindividuelle Tagessätze mit Degression werden von den Vertragsparteien auf Ortsebene verhandelt.
- Im Tagessatz sind die Kosten des Krankenhauses für die stationäre Pflege in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen zu berücksichtigen.
- Der Tagessatz umfasst darüber hinaus auch den Leistungserbringeranteil von an sektorenübergreifenden Versorgern festangestellten Ärzten.
- Bei Leistungserbringung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gilt ein verringerter krankenhausindividueller Behandlungstagessatz.
- Für den Leistungserbringungsanteil, der durch zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte erbracht wird, gelten die Gebührenordnungen nach EBM und GOÄ.
Die DKG zweifelt daran, dass das Konzept tragfähig ist und fordert eine kostendeckende Refinanzierung der ambulanten ärztlichen und pflegerischen Leistungen.
»Die Regelungen zur Finanzierung sind unzureichend. Tatsächlicher Aufwand und die Strukturkosten dieser besonderen Krankenhäuser (regionale Gesundheitszentren) müssen abgebildet werden.«
Auch die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist mit der Finanzierung nicht einverstanden, allerdings aus anderem Grund: Sie sieht „rechtswidrige Subventionen“ bei der Förderung von „sektorübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ über den Transformationsfonds und verweist auf eine gutachterliche Stellungnahme einer Anwaltskanzlei.
Ausblick
Dass sich Bund und Länder auch bei der Vorhaltevergütung und den sektorenübergreifenden Versorgungsstrukturen nicht einig sind, ist ein weiterer Punkt, der es fraglich erscheinen lässt, ob Lauterbachs Plan zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung aufgehen wird. Sollte sich im parlamentarischen Verfahren nichts Wesentliches mehr ändern, ist die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch die Bundesländer derzeit zumindest wahrscheinlich. Es wäre kaum noch möglich, das Gesetz dann bis Januar 2025 umzusetzen.
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Dr. med. Karen Wismann
Geschäftsführerin
Karen Wismann war vor ihrer Berufung in die consus-Geschäftsführung bereits 18 Jahre lang im Medizincontrolling tätig – und gehört damit zu den Erfahrensten auf dem Gebiet der Erlössicherung. Neben umfassenden Kenntnissen im Bereich der Erlöse verfügt die Ärztin, Gesundheitsökonomin und Dozentin über eine ausgewiesene Expertise im Bereich medizinischer Analysen.