Die Krankenhausreform und ihre Auswirkungen
Als Revolution Mitte 2023 angekündigt, geistert die Krankenhausreform seither durch Politik, Medien und Klinikwelt. Kaum jemand kann vorhersagen, wie die Krankenhauslandschaft nach der Umsetzung der Reform aussehen wird. In einer vierteiligen Serie fassen wir alle wichtigen Fakten zusammen und legen den Schwerpunkt auf die konkreten Auswirkungen für die Kliniken. Was ist beschlossen, was noch nicht und worauf müssen Sie sich einstellen? Hier halten wir Sie auf dem Laufenden.
Serie zur Krankenhausreform | Teil 2: Leistungsgruppen
Neuordnung durch Leistungsgruppen – NRW für alle?
„NRW pur“ fordert die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in einem Drei-Punkte-Plan zur Rettung der Krankenhausreform. Doch was ist damit gemeint? Im zweiten Teil unserer Serie zu den Auswirkungen der Krankenhausreform lesen Sie, welche Schlüsse sich aus der bisherigen Erfahrung mit der Einführung von Leistungsgruppen in Nordrhein-Westfalen für den Bund ziehen lassen.
Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat mit dem Krankenhausplan 2022 seine Krankenhausplanung neu ausgerichtet. Damit erfolgte die Krankenhausplanung erstmals statt über Fachabteilungen und Betten über Leistungsgruppen. Es wurden sogenannte Leistungsbereiche und Leistungsgruppen ausgewiesen, die die medizinischen Fachgebiete und Unterdisziplinen abbilden. Jede Leistungsgruppe ist an Qualitätskriterien geknüpft.
Damit verfolgt die Landesregierung das Ziel, die Krankenhausplanung viel mehr als bisher am tatsächlichen Versorgungsbedarf und an der Behandlungsqualität zu orientieren. Dies erfolgt durch die jährliche Ermittlung von Fallzahlen je medizinischer Leistung sowie der Zuteilung von Leistungsbereichen und Leistungsgruppen an die Krankenhäuser durch die Planungsbehörden.
Leistungsbereiche und Leistungsgruppen
Die wesentliche Neuerung im Krankenhausplan NRW ist die Einführung einer neuen Planungssystematik, in der statt wie bislang 22 Fachabteilungen nun 32 Leistungsbereiche mit 64 untergeordneten Leistungsgruppen ausgewiesen werden.
Die Leistungsbereiche bilden den übergeordneten medizinischen Rahmen. Der Zuschnitt und die Inhalte der Leistungsbereiche orientieren sich an den Gebieten der Weiterbildungsordnungen der beiden nordrhein-westfälischen Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe. Jedem Leistungsbereich werden eine oder mehrere allgemeine oder spezifische Leistungsgruppen zugeordnet. Die Leistungsgruppen bilden konkrete medizinische Leistungen oder Leistungscluster ab. Die Leistungsgruppen werden an Qualitätskriterien gekoppelt.
Die Leistungsgruppen sind in Abhängigkeit vom erforderlichen Steuerungsgrad in allgemeine und spezifische Leistungsgruppen unterteilt.
Allgemeine Leistungsgruppen
Sie orientieren sich über die Inhalte des jeweiligen Gebietes der Weiterbildungsordnung der beiden Ärztekammern (Zuordnung über Fachabteilungsschlüssel).
Spezifische Leistungsgruppen
Diese werden überwiegend über den OPS-Katalog mittels OPS-Codes, aber auch über weitere Parameter wie beispielsweise ICD-Schlüssel, das Patientenalter oder das Geburtsgewicht definiert.
In der Landeskrankenhausplanung NRW gibt es 19 allgemeine und 41 spezifische Leistungsgruppen.
Planungsebenen
Je nach Komplexität einer Leistungsgruppe ist das hiermit beplante Gebiet unterschiedlich groß. Auf Ebene des Landkreises wird die flächendeckende Grundversorgung beplant, dies beinhaltet Innere Medizin, Allgemeine Chirurgie, Intensivmedizin und Geriatrie. Ziel ist die Erreichbarkeit innerhalb von 20 Pkw-Fahrzeitminuten für 90 Prozent aller Bürger. Andere komplexere Leistungen werden für größere Gebiete geplant, dies sind die 16 Versorgungsgebiete von NRW oder die sechs Regierungsbezirke oder sogar die zwei Landesteile. Je komplexer und spezialisierter eine Leistung, desto größer die Planungsebene.
Umsetzung des Krankenhausplans NRW und die Folgen
Was bisher geschah
- August 2019: Gutachten zur Krankenhauslandschaft NRW empfiehlt Leistungsgruppen
- Ende 2019 bis 2021: Erarbeitung der Grundzüge für einen neuen Krankenhausplan
- April 2022: Veröffentlichung der neuen Rahmenvorgaben des Krankenhausplans NRW
- Oktober 2022: Bezirksregierungen fordern Kostenträger und Krankenhäuser zu den Verhandlungen über die regionalen Versorgungskonzepte
- November 2022: Verhandlungsphase beginnt
- September 2023: Die meisten Dialoge sind abgeschlossen, die Daten (gewünschte Fallzahl der Klinik versus Votum der Kostenträger und diesbezüglicher Konsens oder Dissens) werden veröffentlicht
- Mai 2024: Start der Anhörungsverfahren, in dem insbesondere die Krankenhäuser noch bis zum 11. August Stellungnahmen zu den geplanten Zuweisungen abgeben können
- Ab Juni 2024: Versand der Bescheide für die Leistungsgruppen an die Krankenhäuser
Was noch kommt
- Im Anschluss an das Anhörungsverfahren wird das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales abschließend über die einzelnen Versorgungsaufträge der Krankenhäuser entscheiden. Diese sollen bis Ende 2024 neu erteilt werden.
Dissens zwischen Kliniken und Kostenträgern
Im November 2023, nachdem die Regionalkonferenzen zwischen Kliniken und Kostenträgern größtenteils abgeschlossen waren, zeigte sich vielerorts ein Dissens zwischen den Vorstellungen der Kliniken und denen der Kostenträger. Folgende Zahlen verdeutlichen dies:
- Lediglich 26 Prozent der Kliniken konnten einen Gesamtkonsens über die Leistungsgruppen mit den Kostenträgern erreichen.
- 74 Prozent der Kliniken sind mit mindestens einer Leistungsgruppe im Dissens.
- 95 Prozent der Kliniken haben weniger Leistungen zugesprochen bekommen als gefordert.
Die Bescheide des Gesundheitsministeriums
Ab 14. Juni 2024 versendete das Gesundheitsministerium in NRW die Bescheide für die Leistungsgruppen und überraschte sowohl Kliniken als auch externe Beobachter. Diese hatten nicht erwartet, wie stark das Gesundheitsministerium in NRW in die Portfolien der Kliniken steuernd eingreifen will. Bereits auf Landkreisebene (Innere Medizin, Chirurgie, Geriatrie, Intensivmedizin) kommt es zu Veränderungen, die so nicht vorhergesehen wurden. Am Beispiel der Geriatrie wird es deutlich: Kein Universitätsklinikum in NRW soll nach Sicht des Gesundheitsministeriums einen Versorgungsauftrag für die Geriatrie bekommen.
Deutliche Verschiebungen gab es auch bei anderen Versorgern, vor allem im Bereich der beantragten versus der vom Gesundheitsministerium für sinnvoll gehaltenen Fallzahlen. Hier wird bereits jetzt klar, dass es zu erheblichen Portfolioveränderungen kommen wird, die ganze Fachabteilungen und Standorte in ihrer Existenz infrage stellen und auch hochwirksam in den (zukünftig prospektiven) Budgetverhandlungen sein werden.
Zugeteilte Versorgungsaufträge sind mit einer Frist von zwölf Monaten umzusetzen, Rechtsbehelfe gegen einen Feststellungsbescheid haben keine aufschiebende Wirkung mehr.
Ein Beispiel für die Verteilung einer Leistungsgruppe in der Region Aachen
In der folgenden Grafik haben wir die Lage in der Städteregion Aachen und im Regierungsbezirk Köln für die Leistungsgruppe 21.2 Ovarial-CA (Ovarialkarzinom) visualisiert. Zu sehen ist die erhebliche Ungleichverteilung von Aachen und Umland im Vergleich zur geplanten Versorgungssituation im Rheingebiet.
Anhand der entzogenen Versorgungsaufträge wird deutlich, dass redundante Strukturen innerhalb einer Stadt – hier immerhin die Stadt Aachen mit über 200.000 Einwohnern – konsequent abgebaut werden sollen, sogar bis zur Solitärversorgung.
Folgen für die Budgetverhandlungen
Auch wenn das Gesundheitsministerium in NRW immer wieder betont hat, dass Krankenhausplanung und Budgetverhandlung nichts miteinander zu tun haben, ist absehbar, dass die Kostenträger wegfallende Leistungsbestandteile herausverhandelt wissen wollen. Was bei Mehrerlösen infolge Konzentration in einer Klinik durch Zuweisung bisher nicht geplanter Leistungen geschieht, ist noch offen.
Lässt sich das Modell NRW für die Krankenhausreform übernehmen?
Die Forderung der DKG nach „NRW pur“ resultiert wohl vor allem aus dem Wunsch, eine verlässlichere Vorhersagegrundlage für die Kliniken in ganz Deutschland zu haben. In der Tat: Die aktuelle NRW-Systematik lässt sich zwar bereits jetzt für jede Klinik in Deutschland auf Basis des §21-Datensatzes darstellen. Ebenfalls kann der lokale Markt einer Klinik über die Qualitätsberichte der Mitbewerber in seinem Einzugsgebiet näherungsweise an die NRW-Logik adaptiert werden, sodass bereits jetzt Kooperationsmöglichkeiten und Mitbewerber sichtbar gemacht werden können. Ebenfalls können sich Kliniken in ganz Deutschland die Qualitätskriterien der 60 NRW-Leistungsgruppen ansehen und entscheiden, ob sie Mindest- und Auswahlkriterien bereits jetzt erfüllen bzw. was nötig wäre, um diese zu erreichen. Allerdings fehlen zur validen Abschätzung der eigenen Marktposition aktuell noch die sogenannten Planungsebenen (s.o.), die in NRW genau den lokalen oder überregionalen Bedarf festlegen. Diese existieren in anderen Bundesländern in dieser Art noch nicht.
Der zentrale Unterschied zwischen dem Krankenhausplan NRW und den Plänen des Bundesgesundheitsministers ist jedoch folgender: Die Krankenhausreform sieht vor, dass über die Leistungsgruppen auch eine Vorhaltevergütung erfolgen soll. Krankenhausplanung und -finanzierung sollen also miteinander verknüpft werden. Das System NRW sortiert seine Leitungsgruppen aber nach einer ICD/OPS-Kombination, die keine Aussagen zu den Kosten der Versorgung enthält. Deshalb lässt sich hieraus keine einheitliche Vorhaltevergütung berechnen.
»Grouper-Hersteller rechnen nicht vor November 2024 mit einer Zertifizierung und Freigabe der Grouper.«
Für die zukünftige Verknüpfung von Leistung und Vorhaltefinanzierung soll das Leistungsgruppen-System NRW daher vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) in eine Logik übersetzt werden, die wieder auf DRG basiert, sodass der „Preis“ jeder Leistungsgruppe mit Euro und Cent beziffert werden kann. Der dafür notwendige „Leistungsgruppengrouper“ soll bis Herbst 2024 entwickelt werden. Dann sollen die Kliniken die Möglichkeit haben, ihre Portfolien mittels des standardisierten Abrechnungsdatensatzes („§21“) in der neuen Systematik darzustellen. Erst wenn der Grouper da ist, sind also sinnhafte bundesweite Darstellungen und regionale bzw. lokale Auswirkungsanalysen möglich. Auf Anfrage von consus gaben Grouper-Hersteller an, dass sie nicht vor November 2024 mit einer Zertifizierung und Freigabe dieser Grouper rechnen.
Ausblick
Alle Kliniken warten derzeit dringend auf eine Klärung des weiteren Vorgehens, eine belastbare strategische Planung ist auf Basis der derzeit verfügbaren Informationen – zumindest außerhalb von NRW – nicht möglich. Angesichts der sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation vieler Kliniken wird dies zunehmend zu einem ernsten Problem.
Die Vorhaltevergütung soll die Kliniken unabhängiger von der Menge der erbrachten Leistungen machen und damit ihr wirtschaftliches Überleben sichern. Ob die neue Finanzierungssystematik dieses Versprechen einlösen kann, lesen Sie im dritten Teil unserer Serie zur Krankenhausreform.
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Dr. med. Karen Wismann
Geschäftsführerin
Karen Wismann war vor ihrer Berufung in die consus-Geschäftsführung bereits 18 Jahre lang im Medizincontrolling tätig – und gehört damit zu den Erfahrensten auf dem Gebiet der Erlössicherung. Neben umfassenden Kenntnissen im Bereich der Erlöse verfügt die Ärztin, Gesundheitsökonomin und Dozentin über eine ausgewiesene Expertise im Bereich medizinischer Analysen.