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08.2024

Die Krankenhausreform und ihre Auswirkungen

Als Revolution Mitte 2023 angekündigt, geistert die Krankenhausreform seither durch Politik, Medien und Klinikwelt. Kaum jemand kann vorhersagen, wie die Krankenhauslandschaft nach der Umsetzung der Reform aussehen wird. In einer vierteiligen Serie fassen wir alle wichtigen Fakten zusammen und legen den Schwerpunkt auf die konkreten Auswirkungen für die Kliniken. Was ist beschlossen, was noch nicht und worauf müssen Sie sich einstellen? Hier halten wir Sie auf dem Laufenden.

 

Serie zur Krankenhausreform | Teil 4: Transparenzgesetz und Bundes-Klinik-Atlas

Der Streit um das Kranken­haus­­trans­parenz­­gesetz

Teil 4: Der Streit um das Krankenhaustransparenzgesetz

Der Bundes-Klinik-Atlas soll Patienten die Möglichkeit geben, sich online schnell und unkompliziert über Leistungen und Qualität der Krankenhäuser in Deutschland zu informieren. Dieser Aufgabe wird er derzeit kaum gerecht. Dabei brachte der Streit, der dem Projekt vorangegangen war, beinahe die ganze Krankenhausreform ins Wanken.

 

Am 17. Mai 2024 beschritt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter Führung von Karl Lauterbach Neuland. Ein Portal namens Bundes-Klinik-Atlas ging online mit dem Ziel, Patienten einen umfassenden und schnellen Überblick über die Behandlungsmöglichkeiten aller deutschen Krankenhäuser zu bieten. Das Projekt floppte kolossal. Fast alle Krankenhäuser meldeten kurz nach Veröffentlichung fehlerhafte Angaben. Die verwendeten Daten seien „veraltet“ oder „massiv mit Fehlern“ behaftet, schimpften Kliniken, Fachgesellschaften, Politiker und Patientenvertreter. Mehrere Politiker und Experten forderten die Abschaltung des Portals.

Der Klinik-Atlas ist das Kernstück des Krankenhaustransparenzgesetzes, das Lauterbach gegen massiven Widerstand aus den Ländern durchgesetzt hatte. Mit diesem Gesetz wolle die Bundesregierung die geplante Krankenhausreform flankieren, heißt es auf der Webseite des BMG. Es bildet die Basis für die Veröffentlichung von Struktur- und Leistungsdaten der deutschen Krankenhäuser in einem Transparenzverzeichnis, das der Bevölkerung eine Möglichkeit geben soll, Leistungen, Qualität und Personalausstattung von Krankenhäusern zu vergleichen. Die Kritik an diesem – auf den ersten Blick – hehren Ziel war von Beginn an laut.

Inhalt des Krankenhaus­transparenz­gesetzes

Das Transparenzgesetz regelt im Einzelnen, welche Daten die Krankenhäuser für das Transparenzverzeichnis, also den Bundes-Klinik-Atlas, zu liefern haben und welche Stellen diese Daten zusammenführen, verarbeiten, interpretieren und veröffentlichen sollen. So wird das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) damit beauftragt, die Qualitätsdaten der Häuser mit den vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) gelieferten §21-Daten zusammenzuführen und die Ergebnisse an das BMG zu liefern. Das BMG veröffentlicht daraufhin folgende Informationen im Transparenzverzeichnis:
  • Die Fallzahl der erbrachten Leistungen der Krankenhäuser, differenziert nach Leistungsgruppen
  • Versorgungsstufen (Level) durch Zuordnung des InEK
  • Personelle Ausstattung im Verhältnis zum Leistungsumfang
  • Patientenrelevante Ergebnisse aus bereits bestehenden Qualitätssicherungsverfahren (darunter Informationen etwa zu ambulant durchgeführten Operationen)
  • Qualitätssiegel und Zertifikate über die stationäre Versorgung, die gegenüber dem IQTiG nachgewiesen sind
    Erfüllung von Mindestmengen
  • Entscheidung der Landesbehörde über die Nichtanwendung der Mindestmengen
  • Stufe der Notfallversorgung

Die Kritik am Bundes-Klinik-Atlas

Fast alle Daten, die im Bundes-Klinik-Atlas veröffentlicht werden, waren auch vorher schon auf anderen Portalen im Internet verfügbar, unter anderem bei zahlreichen Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Wer sich als Patient oder einweisender Arzt also über die verschiedenen Angebote informieren und sie miteinander vergleichen wollte, hatte auch vor der Veröffentlichung des Bundes-Klinik-Atlas bereits alle Möglichkeiten dazu. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung „Krankenhäuser“ beim GKV-Spitzenverband kommentiert:

»Angeblich würden die Versicherten erstmals über die Qualität der Krankenhäuser informiert, was natürlich Unsinn ist, weil im neuen Portal zu weit über 90 Prozent nur das stehen wird, was heute schon den Qualitätsberichten zu entnehmen ist beziehungsweise den Navigatoren, die diese Werte verfügbar machen.«

Neu am Bundes-Klinik-Atlas ist jedoch die Zuordnung der Qualitätsdaten zu den Leistungsgruppen sowie die Einteilung in Versorgungsstufen – also Level – durch das InEK. Doch gerade diese Neuerungen sind es, die die Mehrheit Bundesländer auf die Barrikaden trieb und das Transparenzgesetz bis zuletzt zum Wackelkandidaten machte.

Mehrere Bundesländer sahen in dem Plan, Leistungsgruppen für jede Klinik im Transparenzverzeichnis öffentlich zu machen, einen Eingriff in ihre Planungshoheit. Denn die Zuweisung der Leistungsgruppen ist Ländersache und erfolgt erst, wenn die Krankenhausreform beschlossen ist. Das Transparenzregister würde die Leistungsgruppenzuteilung also nicht nur zeitlich vorwegnehmen, sondern diese auch ohne die Länder machen.

Auch die geplante Einteilung der Krankenhäuser in Level rief heftige Kritik hervor. Zur Erinnerung: Über die Level-Einteilung hatte es seit Beginn der Krankenhausreform Streit zwischen Bund und Ländern gegeben, weshalb sie in der Eckpunkte-Vereinbarung vom 10. Juli 2023 nicht mehr vorgesehen war. Dass sie nun im Transparenzregister wieder auftauchen soll, wird von vielen Bundesländern und von der DKG als „Leveleinteilung durch die Hintertür“ betrachtet. DKG-Chef Gerald Gaß kritisierte das Gesetz daher scharf:

Trojanisches Pferd nennen Kritiker den Bundes-Klinik-Atlas

»Das ist das Trojanische Pferd der Krankenhausreform […]. Ohne jedes Mitwirkungsrecht der Länder wird damit die Krankenhausstruktur in den einzelnen Bundesländern nach den von Karl Lauterbach alleine erdachten Leveldefinitionen einsortiert.«

Unterstützung bei seiner Kritik erhielt Gaß auch vom Marburger Bund:

»Es ist zu befürchten, dass die Darstellung in Level zu einer falschen Wahrnehmung der Versorgung in den Krankenhäusern führt, wenn daraus der Schluss gezogen würde, dass für alle Erkrankungen die beste Versorgung in Level-3- Krankenhäusern erfolgt.«

Kritisiert wurde das Gesetz auch von anderen Stakeholdern dafür, dass es den Krankenhäusern zu viel Bürokratie aufbürdet. Die Kliniken müssen für das Transparenzregister umfangreiche Daten an das InEK zusätzlich zur quartalsmäßigen §21-Datenlieferung liefern.

Zustimmung zum Gesetz nur gegen Geld

Ungeachtet all der Kritik wurde das Krankenhaustransparenzgesetz am 19. Oktober 2023 vom Deutschen Bundestag beschlossen. Die Zustimmung im Bundesrat hielten sich die Bundesländer jedoch offen. Sie verlangten vom Bund, dass er den notleidenden Kliniken mit einer Übergangsfinanzierung unter die Arme greift, damit diese überhaupt noch wirtschaftlich durchhalten bis zur Umsetzung der Krankenhausreform. Da es dafür keine Zusagen gab, rief der Bundesrat am 24. November 2023 mit knapper Mehrheit den Vermittlungsausschuss an. Sie forderten:

  • Eine Verschiebung und Reduktion der Datenerhebung
  • Die Veröffentlichung der festgelegten Leistungsgruppen erst nach Entscheidung durch die Länder
  • Mehr Rechtsmittel bei Klagen gegen die Veröffentlichung im Verzeichnis
  • Finanzielle Überbrückungshilfen

Am 21. Februar 2024 schließlich stimmte der Vermittlungsausschuss für das Gesetz mithilfe der Mehrheit der SPD-geführten Länder sowie  Thüringen. An dem Gesetz hatte es keine Änderungen gegeben – was war also in der Zwischenzeit passiert? Karl Lauterbach war bei der Finanzierung ein Stück weit auf die Länder zugegangen. In einer Protokollerklärung schrieb das BMG, dass es die Landesbasisfallwerte spätestens ab dem 1. Januar 2025 erhöhen werde – um wie viel Prozent, ließ es offen. Darüber hinaus hatte Lauterbach damit gedroht, bereits freigemachte Mittel beim Pflegebudget zu blockieren. Damit wären den Kliniken sechs Milliarden Euro entgangen. Diese Argumente schienen die SPD-Bundesländer zu einem Umdenken bewegt zu haben.

Am 22. März 2024 wurde im Bundesrat über das Krankenhaustransparenzgesetz abgestimmt. Noch einmal rief die DKG die Bundesländer dazu auf, „das Transparenzgesetz im Bundesrat abzulehnen und nochmals nachdrücklich einen Ausgleich der inflationsbedingten Mehrausgaben in Form kurzfristiger Anpassung der Landesbasisfallwerte einzufordern“. Doch es kam anders. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz zu.

Ausblick

Auf den Ärger über die falschen Angaben im Klinik-Atlas reagierte das BMG mit einem Update am 20. Juni 2024. Eine neue, deutlich reduziertere Version ging online, die nur noch 20 Indikationsgebiete aufführte. Lauterbach führte als Grund für dieses Facelift nicht etwa die von allen Seiten bemängelte Korrektheit der Daten an, sondern dass der Atlas zu komplex für Laien sei.

In der Tat zeigt die Berichterstattung über das Update, wie wenig laienverständlich der Atlas tatsächlich war. Immer wieder wurde die Aussage verbreitet, der Atlas sei von 23.000 auf 20 Eingriffe gestutzt worden. Diese Aussage ist nicht korrekt. Mit 23.000 ist die Anzahl möglicher kodierbarer Prozeduren gemeint (OPS-Katalog). Die 20 Eingriffe sind stattdessen nur übergeordnete Schlagwörter wie „Herzkatheter mit Stent“ oder „Entbindungen“. Hinter diesen können dutzende oder hunderte verschiedene OPS-Codes stecken. Dies zeigt, dass die ICD/OPS-Systematik grundsätzlich nicht für Laien gedacht und jede Übersetzung das große Risiko birgt, grob fehlerhaft zu sein oder zumindest stark erklärungsbedürftig ist.

In seiner aktuellen Ausgestaltung hat der Klinik-Atlas für Patienten kaum oder gar keinen Mehrwert. Er enthält neben den Adressdaten lediglich Informationen zum Träger, zur Größe, zur Fallzahl, dem Pflegepersonalquotienten und zur Stufe der Notfallversorgung. Wann die umstrittene Zuordnung von Leistungsgruppen und Leveln im Klinik-Atlas erfolgen wird, ist – Stand heute – noch offen.

Hiermit endet unsere Serie zur Krankenhausreform – zumindest vorerst. Vieles bleibt zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, mit weiteren inhaltlichen und zeitlichen Veränderungen muss – auch kurzfristig – gerechnet werden. Wir halten Sie in unserem Newsletter und auf unserem Blog auf dem Laufenden.

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Dr. med. Karen Wismann

Geschäftsführerin

Karen Wismann war vor ihrer Berufung in die consus-Geschäftsführung bereits 18 Jahre lang im Medizincontrolling tätig – und gehört damit zu den Erfahrensten auf dem Gebiet der Erlössicherung. Neben umfassenden Kenntnissen im Bereich der Erlöse verfügt die Ärztin, Gesundheitsökonomin und Dozentin über eine ausgewiesene Expertise im Bereich medizinischer Analysen.







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