Die Krankenhausreform und ihre Auswirkungen
Als Revolution Mitte 2023 angekündigt, geistert die Krankenhausreform seither durch Politik, Medien und Klinikwelt. Kaum jemand kann vorhersagen, wie die Krankenhauslandschaft nach der Umsetzung der Reform aussehen wird. In einer vierteiligen Serie fassen wir alle wichtigen Fakten zusammen und legen den Schwerpunkt auf die konkreten Auswirkungen für die Kliniken. Was ist beschlossen, was noch nicht und worauf müssen Sie sich einstellen? Hier halten wir Sie auf dem Laufenden.
Teil 1: Revolution oder Rohrkrepierer?
Eines hat Karl Lauterbach mit dem bisherigen Vorgehen zur Krankenhausreform geschafft: Alle 16 Bundesländer stehen geschlossen gegen ihn. Wie es dazu kommen konnte und wie eine Einigung noch gelingen könnte, lesen Sie im ersten Teil unserer Serie zur Krankenhausreform.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach spart nicht mit starken Worten, wenn er über seine Pläne zur Reform des deutschen Krankenhauswesens spricht. Schlagworte wie Revolution, Qualitätsoffensive oder Entökonomisierung lassen erahnen, in welchen Dimensionen der Minister denkt. Mit der Reform will er die Finanzierung, die Organisation und das Leistungsspektrum der rund 1.700 Krankenhäuser in Deutschland grundlegend verändern.
Der Weg zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), wie die Reform offiziell heißt, ist jedoch mehr als holprig. Verzögerungen, Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie immer neue Kritikpunkte der verschiedenen Interessengruppen machen es schwer, den Überblick über die aktuellen Entwicklungen zu behalten.
Historie
Was bisher geschah
- Juli 2023: Bund und Länder einigen sich auf ein Eckpunktepapier zur Krankenhausreform.
- September und November 2023: Es erscheinen zwei Arbeitsentwürfe. Diese weichen aus Sicht der Länder in Kernpunkten vom Eckpunktepapier ab.
- März 2024: Ein Referentenentwurf wird öffentlich.
- April 2024: In einer gemeinsamen Stellungnahme schlagen die Länder Ende April 2024 umfangreiche Änderungen vor.
- 15. Mai 2024: Die Bundesregierung beschließt den Gesetzentwurf trotz aller Einwände.
- 28. Juni 2024: erste Lesung im Bundestag ohne wesentliche neue Ergebnisse
- 5. Juli 2024: Erster Durchgang Bundesrat. Die Länder fordern erneut zahlreiche Änderungen und Ergänzungen.
- 25. September 2024: Anhörung im Bundestag
- 17. Oktober 2024: Der Bundestag beschließt die Krankenhausreform mit den Stimmen der Ampelkoalition.
Was noch bevorsteht
- 22. November 2024: Abstimmung im Bundesrat
Die wichtigsten Inhalte und Streitpunkte der Krankenhausreform
Die Bundesländer fühlen sich beim bisherigen Gesetzgebungsverfahren von Lauterbach übergangen. Auf immer wieder geäußerte Einwände und Bedenken hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) aus ihrer Sicht bisher nur unzureichend reagiert. Insbesondere das Vorgehen, die Reform als nicht zustimmungspflichtiges Gesetz auf den Weg zu bringen, ist für sie nicht akzeptabel. Auch fordern sie schon von Beginn an eine Auswirkungsanalyse, die bisher nicht in Sicht ist. Darüber hinaus haben sie wiederholt ihre Zweifel geäußert, dass die Krankenhausreform dazu beitragen kann, Bürokratie abzubauen. Aus Sicht der Länder ist das Gegenteil der Fall.
Unter anderem an den folgenden vier Reform-Inhalten hatten die Länder in ihrer gemeinsamen Stellungnahme Ende April Änderungen vorgeschlagen:
Leistungsgruppen
So steht es im Kabinettsentwurf:
Die Planungsbehörden der Länder weisen Krankenhäusern Leistungsgruppen zu. Ausgangspunkt für die Leistungsgruppensystematik sind die Vorarbeiten in Nordrhein-Westfalen. Es sind 65 Leistungsgruppen geplant. Die Zuweisung entscheidet sich nach bundesweit geltenden Qualitätskriterien. Daneben sollen auch Mindestvorhaltezahlen je Leistungsgruppe gelten. Von den Qualitätskriterien einer Leistungsgruppe kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn dies zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung notwendig ist.
Das fordern die Länder:
Die Länder fordern, dass sie selbst entscheiden, wann Ausnahmen von den Qualitätskriterien der Leistungsgruppen zulässig sein sollen. Zudem fordern sie, die Mindestvorhaltezahlen zu streichen. Falls die Mindestvorhaltezahlen doch eingeführt werden, sollte nach dem Willen der Länder vorher eine Erprobungsphase durchgeführt werden. Zudem sollen die Fristen für die Einführung der Leistungsgruppen verlängert werden.
Vorhaltebudget
So steht es im Kabinettsentwurf:
Mit Einführung einer Vorhaltevergütung soll die Vorhaltung von Strukturen in Krankenhäusern künftig weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung gesichert werden. Die bestehenden Fallpauschalen werden abgesenkt und vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) wird eine Vorhaltevergütung je Land und Leistungsgruppe ermittelt. Die Krankenhäuser erhalten die Vorhaltevergütung für diejenigen Leistungsgruppen, die ihnen durch die jeweilige Planungsbehörde des Landes zugewiesen wurden und deren Qualitätskriterien und Mindestvorhaltezahlen sie grundsätzlich erfüllen.
Das fordern die Länder:
Die Finanzierung bedarfsnotwendiger kleiner Krankenhäuser mit bevölkerungsbedingt geringer Fallzahl wird den Ländern zufolge nur unzureichend berücksichtigt. Daher fordern sie die Abkehr von der Vorhaltevergütung für alle Leistungen. Stattdessen soll das InEK Sockelbeträge ermitteln. Diese sollen der Mindestfinanzierung in den jeweiligen Leistungsgruppen der Basisversorgung, insbesondere Allgemeine Chirurgie, Allgemeine Innere, Geriatrie, Geburtshilfe und Notfallmedizin dienen. Ist der Sockelbeitrag höher als die ermittelte Vorhaltevergütung eines Krankenhausstandortes, soll er an die Stelle der Vorhaltevergütung treten.
Sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen
So steht es im Kabinettsentwurf:
Um insbesondere auch in struktur- und bevölkerungsschwachen Regionen weiterhin eine qualitätsgesicherte medizinische Grundversorgung aufrechterhalten zu können, wird der Ausbau der sektorenübergreifenden und integrierten Gesundheitsversorgung vorangetrieben. Die Länder erhalten gesetzlich die Möglichkeit, sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen zu bestimmen, deren Leistungsspektrum neben stationären auch erweiterte ambulante sowie medizinisch-pflegerische Leistungen umfasst.
Das fordern die Länder:
Die Länder fordern zur Wahrung ihrer Planungshoheit eine Mitbestimmung darüber, welche Leistungen von sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen erbracht werden müssen bzw. dürfen. Außerdem müssen die sektorenübergreifenden Einrichtungen aus ihrer Sicht einen Anspruch auf Förderung von Investitionskosten haben. Darüber hinaus fordern die Länder umfassende Ermächtigungen in Gebieten ohne Zulassungsbeschränkung.
Transformationsfonds
So steht es im Kabinettsentwurf:
Für die Umsetzung der durch die Krankenhausreform angestoßenen Prozesse soll ab 2026 ein Transformationsfonds eingerichtet werden, der jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern gefüllt wird. Bis 2035 sollen dorthin jährlich fünf Milliarden Euro fließen. Der Bund wird seinen Teil, pro Jahr 2,5 Milliarden, aus dem Gesundheitsfonds der Krankenkassen bestreiten. Die Länder sollen jährlich denselben Beitrag leisten.
Das fordern die Länder:
Die geplante 50-prozentige Ko-Finanzierung für den Transformationsfonds halten die Länder für zu hoch. Gefördert werden sollten zudem über den Fonds auch Projekte, die bereits 2024 begonnen wurden.
Scheitert die Krankenhausreform noch?
Der Kabinettsentwurf sieht ein Gesetz ohne Zustimmungspflicht des Bundesrates vor. Alle 16 Bundesländer sehen darin einen unzulässigen Eingriff des Bundes in ihre verfassungsmäßig garantierte Planungshoheit. In einem juristischen Kurzgutachten für das Bundesland Bayern teilt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger diese Bedenken:
»Vor diesem Hintergrund lässt sich als Fazit der kurzgutachterlichen Ersteinschätzung festhalten, dass der Referentenentwurf erheblich in die Krankenhausplanungshoheit der Länder eingreift und daher durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwänden begegnet.«
Die Länder drohen daher mit einer Blockade der Gesetzespläne im Bundesrat durch den Vermittlungsausschuss. Damit wäre ein Inkrafttreten zum Januar 2025 kaum noch möglich. Noch hoffen die Länder jedoch, dass ihre Forderungen im parlamentarischen Verfahren Berücksichtigung finden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat indes kürzlich einen Drei-Punkte-Plan erstellt, mit dem die Krankenhausreform noch gerettet werden soll. Diese sind:
- Ausschließliche Orientierung an NRW („NRW pur“)
• Verzicht auf Mindestfallzahlen, die Verschärfung von Personalvorgaben oder die Einschränkung von Kooperationen zwischen Krankenhausstandorten
• Neubewertung Ende 2027 nach Abschluss aller Landeskrankenhausplanungen - Andere Lösungen zur Existenzsicherung als die Vorhaltefinanzierung
• kurzfristige Stabilisierung der Klinik-Finanzierung
• dazu Weiterentwicklung der fallzahlunabhängigen Instrumente wie Notfallstufenzuschläge, Zentrumszuschläge, Zuschläge für die Pädiatrie und Geburtshilfe
• Ausbau von Sicherstellungszuschlägen - Entbürokratisierung und Deregulierung
• Aussetzung der PPUG-Dokumentation sowie Meldung für alle Standorte ohne nennenswerte Sanktionen. Aussetzung PPP-RL
• Verlängerung Gültigkeit der OPS-Strukturprüfung auf fünf Jahre
• „Entschlackung“ Leitfaden zur OPS-Strukturprüfung durch die Selbstverwaltung
• komplette Streichung aller zusätzlichen Dokumentationen und Meldepflichten infolge des Transparenz- und Medizinforschungsgesetzes
Noch ist offen, ob diese Vorschläge zur Annäherung zwischen Bund und Ländern beitragen können.
Am Beispiel von Nordrhein-Westfallen lässt sich beobachten, welche erheblichen Folgen die Einführung von Leistungsgruppen nur für die Krankenhausplanung hat, ohne dass hieran bereits Finanzierungsfragen wie die vom Bund geplante Vorhaltevergütung hängen. Damit kann der Blick nach NRW auch ein Blick in die Zukunft der Krankenhausreform sein.
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Dr. med. Karen Wismann
Geschäftsführerin
Karen Wismann war vor ihrer Berufung in die consus-Geschäftsführung bereits 18 Jahre lang im Medizincontrolling tätig – und gehört damit zu den Erfahrensten auf dem Gebiet der Erlössicherung. Neben umfassenden Kenntnissen im Bereich der Erlöse verfügt die Ärztin, Gesundheitsökonomin und Dozentin über eine ausgewiesene Expertise im Bereich medizinischer Analysen.